Mehr als die Hälfte aller Schmerzen, über die der Mensch seitens des Halte- und Bewegungsapparates klagt, sind Kreuzschmerzen. Sie verursachen den größten Teil der Krankheitskosten auf orthopädischem Fachgebiet, und übertreffen bereits die Herz-Kreislauferkrankungen, die an 2. Stelle in den Versicherungsstatistiken auftauchen.
Der Sachverhalt der überragenden Krankheitsanfälligkeit der Wirbelsäule, hier insbesondere die Lendenwirbelsäule und der lumbosakrale Übergang, wird auf die entwicklungsgeschichtliche Umstellung mit dem aufrechten Gang des Menschen zurückgeführt. Erst der aufrechte Gang machte die Ausbildung einer Lendenlordose, also des Hohlkreuzes, erforderlich. Hinzu kommen monotone und übermäßige Beanspruchungen in einer vor allem für die Lendenwirbelsäule übermäßig beanspruchenden Position (z.B. langes Sitzen bei Bürotätigkeit) als auslösender Faktor für die wiederholt auftretenden Rückenschmerzen infrage. Hinzu kommen zudem bekannte Faktoren der modernen Zivilisationsgesellschaft wie Übergewicht und mangelnde Bewegung.
Schließlich bewirkt die verlängerte Lebenszeit des heutigen Menschen, daß noch in höherem Lebensalter Beschwerden durch Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule erlebt werden (Verminderung des Knochenkalksalzgehaltes – Osteoporose, Aufhebung der Stoßdämpferfunktion der Bandscheiben durch zunehmenden Verschleiß).
Hinsichtlich der Kreuzschmerzen muß differenziert werden zwischen solchen, die auf die Lendenwirbelsäule mit ihrem Weichteilapparat zurückzuführen sind und solche, die von anderen Organen hier projiziert werden.
Gelenke und Weichteile:
- Muskelverhärtung
- Sehnenansatzschmerzen
- Bandscheibenverschleiß und deren Folgen (Bandscheibenprolaps/Bandscheibenprotrusion; Bandscheibenvorwölbung/Bandscheibenvorfall)
- Schlaffe Haltung
Knochen
- Deformitäten (Wirbelsäulenverkrümmungen)
- Frakturen (Wirbelkörperbrüche)
- Spondylodiscitis (Entzündungen der Bandscheibenräume)
- Tumoren
- Osteoporose (Verminderung des Knochenkalksalzgehalte)
- Spondylolyse/Spondylolisthese (Unterbrechung des Wirbelbogens mit nachfolgendem Wirbelgleiten)
- Nervenerkrankungen
In den Rücken projizierte Schmerzen:
- Gynäkologische Affektionen (frauenheilkundliche Erkrankungen/Erkrankungen des kleinen Beckens)
- Kreuzschmerzen während und nach der Schwangerschaft sind sehr häufig
- Urologische Krankheiten (Erkrankungen der Niere und des harnableitenden Systems)
- Andere Krankheitsherde im kleinen Becken (Tumoren, welche im Bauchraum oder der Wirbelsäule nahe liegen)
- Angiologische Grunderkrankungen (Gefäßverengungen oder Gefäßverschlüsse) in der Aorta, den Iliacalarterien oder ihren Ästen)
- Coxarthrose (Hüfterkrankungen) und Erkrankungen des Beckenringes (Entzündung oder „Blockierung“ des Gelenkes zwischen Steißbein und Beckenschaufel – Iliosakralgelenk)
Allgemeinerkrankungen:
- Rückenschmerzen bei allgemeiner Überbeanspruchung, Müdigkeit, Erschöpfung.
- In den Rücken projizierte Schmerzen bei psychischer Überlastung (Psychosomatik)
Die vorhergehenden Tabellen machen die Vielfältigkeit der möglichen Ursachen des Kreuzschmerzes klar. Die Abklärung der möglichen kreuzschmerzversursachenden Erkrankungen kann so in manchen Fällen langwierig sein.
Die Bandscheibenerkrankung tritt in 2 Formen auf: Akut auftretende Schmerzen aufgrund eines Bandscheibenvorfalles mit stärksten Schmerzen und evtl. auftretenden Nervenlähmungen sowie mit möglicher ausstrahlender Schmerzsymptomatik in die Beine oder chronisch als Störung der Bewegungsabwicklung durch Funktion der Pufferfunktion der Bandscheibe.
Neben der Bandscheibe können jedoch auch degenerative Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke sowohl Kreuzschmerzen als auch in die Beine ausstrahlende Schmerzen verursachen.
Merke!
Es besteht keine Parallelität zwischen den im Röntgenbild sichtbaren in manchen Fällen sogar stärksten Verschleißerscheinungen und der Beschwerdesymptomatik des Patienten. Auch eine in der Computertomographie oder der Kernspintomographie sichtbare Bandscheibenvorwölbung oder Bandscheibenvorfall muß, in Abhängigkeit von Faktoren wie Rückenmarkskanalweite, keine Beschwerden verursachen.
Wiederum können jedoch verschleißbedingte Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke sowie der Bandscheibe durch einen gestörten Bewegungsablauf im sogenannten Bewegungssegment zu Schmerzen führen, welche durch Stabilisierung der Wirbelsäule mittels Krankengymnastik oder Mieder oder durch eine Versteifung des betroffenen Bewegungssegmentes beseitigt werden können.
Hierbei ist der Themenbegriff der „lumbalen Instabilität“ zu erwähnen. Dieser bezeichnet einen gestörten Bewegungsablauf in einem oder mehreren Bewegungssegmenten. Ein Bewegungssegment besteht aus 2 angrenzenden Wirbelkörpern und dem sie verbindenden Wirbelgelenk sowie der Bandscheibe.
Die lumbale Instabilität kann durch krankhafte Veränderungen an verschiedenen Stellen eintreten. Häufig treten diese Veränderungen nicht alleine auf sondern sind miteinander kombiniert:
Häufigste Ursache ist die „kaputte“ Bandscheibe. Sie bewirkt, daß die Formbeziehung der kleinen Wirbelgelenke nicht mehr stimmen, diese verschleißen und bei Bewegung schmerzhaft sind.
Primäre Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke mit instabiler Führung derselben können bei Skoliose und angeborenen Wirbelfehlformen eintreten.
Instabilität kann auch entstehen, wenn z.B. nach Bandscheibenoperationen, das die Bandscheibe bedeckende gelbe Band oder der hintere Wirbelbogen ganz oder teilweise entfernt werden. In manchen Fällen kann hierbei eine operative Stabilisierung des betroffenen Bewegungssegmentes erforderlich sein.
Eine Instabilität kann zudem durch Veränderungen am Knochen selbst eintreten. Dieses ist z.B. nach einem Wirbelkörperbruch oder einer Entzündung des Bandscheibenraumes möglich.
Eine besondere Form der Instabilität des Bewegungssegmentes ist das Wirbelgleiten. Hierbei kommt es zu einer Unterbrechung zwischen hinteren und vorderen Elementen eines Wirbels. Der Wirbelkörper gleitet nachfolgend nach vorne. Aus der Beschreibung der Instabilitätsformen der Lendenwirbelsäule wird ersichtlich, daß diese nur die schweren krankhaften Veränderungen mit starken chronischen Schmerzen umfassen.
Hinsichtlich der Therapie ist zu betonen, daß der zahlenmäßig weitaus größere Teil der Kreuzschmerzpatienten mit konservativen (nicht operativen) Behandlungsmaßnahmen zufriedenstellend gebessert und in der Arbeitsfähigkeit erhalten werden kann.
Banale Kreuzschmerzen nach auslösenden Faktoren wie Nässeexposition, Unterkühlung, „Verheben“ oder montone Arbeitsbelastung oder auch mäßiggradige Schmerzepisoden bei leichteren Bandscheibenschäden wie auch beim „Hexenschuß“ können in nahezu allen Fällen mittels Wärmeanwendungen, Bewegungsbädern, Bestrahlungen, krankengymnastischer Übungsbehandlung und vorübergehender Gabe von Medikamenten durch den Orthopäden rasch und anhaltend behoben.
Sofern sich diese Kreuzschmerzen jedoch wiederholen, ist es in vielen Fällen erforderlich, die Lebensweise des Patienten umzustellen. Hierzu gehören Faktoren wie Gewichtsreduktion, bessere Sitzhaltung, Vermeiden des Hebens schwerer Lasten, Einhalten häufigen Wechsels von Sitzen und Stehen sowie Vermeidung von Kälte und Nässe.
Die Behandlung der durch Verschleiß bedingte Veränderung oder andere Faktoren auftretende Instabilität des Bewegungssegmentes besteht logischerweise in der Stabilisierung, die auch hier wiederum in einem überwiegenden Teil der Fälle ohne Operation möglich ist. Hierbei gehören zu den Behandlungsmaßnahmen die Verordnung eines Mieders/Korsetts und die intensive Kräftigung der Rumpfmuskulatur.
Die operative Stabilisierung, d.h. Versteifung einzelner Wirbel miteinander, kann eine normale Stabilität bei Beweglichkeit nicht herstellen, d.h., daß die Bewegung zugunsten der Schmerzfreiheit des Patienten geopfert werden muß.
Bei der Stabilisierungsoperation werden die betreffenden Wirbel mittels von hinten eingebrachter Schrauben fest miteinander fixiert. Zusätzlich eingebrachtes Knochenmaterial, das dem Patienten ohne Nachteil und ohne zusätzlichen Hautschnitt entnommen wird, gewährleistet eine knöcherne Verblockerung der verschraubten Wirbel.
Operatives Behandlungsprinzip
- Stabilität
- Instabilität
- Versteifung
- Funktion
- Form
- kein Schmerz
- Instabilität/Funktionsstörung
- Krankhafte Form
- Schmerz
- Versteifung
- Funktion nahezu aufgehoben
- Form wiederhergestellt
- kein Schmerz
Für Ärzte und Patienten gleichermaßen ist hervorzuheben, daß nicht die Veränderungen des Röntgenbildes, der Computer- oder Kernspintomographie die Erfordernis einer Operation begründen, sondern ausschließlich die Schmerzen als auch die Lähmungszeichen, die durch eine operative Stabilisierung behebbar sind.
Die häufigste Ursache ist jedoch der, im weitesten Sinne, durch Verschleiß bedingte Kreuzschmerz, der seinen Ausgang in der Bandscheibe hat.